Trotz der erfolgreichen Entwicklung von Impfstoffen gegen Infektionen mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 brauchen infizierte Patienten spezifische Medikamente, um sich gegen die Vermehrung des Virus wehren zu können.
Medikamentöse Behandlungsmöglichkeiten von viralen Infektionen richten sich gegen alle biochemischen Prozesse der Virus-Infektion und -Vermehrung in der befallenen Zelle. Es liegt nun auf der Hand chemische Verbindungen zu finden (Virostatika), die spezifisch an Virus-Proteinen binden, um damit dessen Vermehrung zu unterbrechen.
Wirkstoffe gegen Viren sind außerordentlich schwierig zu finden. Dazu haben in Hamburg zwei Arbeitsgruppen aus der Universität Hamburg (Christian Betzel) und dem DESY (Alke Meents) eine Zusammenarbeit initiiert und ein Projekt mit fast 30 Institutionen erfolgreich organisiert.
Um die jahrelange Zeitspanne der Wirkstoffsuche und Zulassung deutlich abzukürzen, wurden etwa 6000 bereits für die Behandlung anderer Krankheiten zugelassene Wirkstoffe herangezogen und mit der Main Protease aus SARS-CoV-2 kristallisiert, um durch Röntgendiffraktion deren atomare Strukturen sichtbar zu machen. So wurden aus einigen tausend Datensätzen 37 Stoffe identifiziert, die spezifisch an der Main Protease binden. Sieben dieser Wirkstoffe zeigten Antiviralität bei guter Zellverträglichkeit und eignen sich als Leitstrukturen zum „drug design“. Das ist eine unerwartet hohe Zahl. Aus dieser Gruppe sind bereits zwei Wirkstoffe in präklinischen Untersuchungen.
Zum Verständnis der enormen Anstrengungen innerhalb des Projektes mit fast 100 kompletten Röntgenstrukturanalysen: Nur eine derartige Proteinstrukturanalyse beinhaltet etwa eine Masterarbeit in der Biochemie – kein Wunder bei 102 Autoren. Indirekt beteiligt ist Greifswald mit den ehemaligen Absolventen aus der Biochemie Julia Lieske (Diplom-Biochemie, 2007, jetzt DESY) und Nadine Werner (M.Sc. Biochemie, 2015, Universität Hamburg). Beide waren in der ehemaligen Arbeitsgruppe von Winfried Hinrichs, der seine Expertise in der Biokristallographie, Molekulare Strukturbiochemie und Enzymologie eingebracht hat.
Diese Ergebnisse sind nun nach etwa einem Jahr unter erschwerten „lockdown“ Arbeitsbedingungen Anfang April im renommierten Wissenschaftsmagazin „Science“ online veröffentlicht.
Originalveröffentlichung:
X-ray screening identifies active site and allosteric inhibitors of SARS-CoV-2 main protease; Sebastian Günther, Patrick Y. A. Reinke, et al.; Science, 2021; doi.org/10.1126/science.abf7945